Im Auge des Hurrikans
Der große Songwriter spielt in München nur einen richtig ruhigen Song. Die restliche Zeit macht er den besten Lärm der Welt.
Ist Neil Young der größte lebende Gitarrist? Meine Konzertbegleitung sagt das. Dabei gibt es viele, die schneller spielen als er, viele, die präziser sind und vielleicht gar jeden Ton sauber treffen. Aber wen soll das interessieren? Wenn 30 Meter vor einem einer auf der Bühne steht, der mit seinem Feedbacklärm, mit seinen mächtigen langgezogenen Soli die gewaltigsten Prärien, die längsten Highways, die schiere Wucht der amerikanischen Geschichte einfängt – und mag das noch so kitschig klingen, wenn man das so schreibt. Es ist expressive, rohe Musik, und es ist die amerikanischste Musik, die sich denken lässt.
Seine legendäre Stammband Crazy Horse (mit der er gerade an einem neuen Studioalbum arbeitet) hat Young heute nicht mitgebracht, stattdessen sind Promise Of The Real um die beiden Willie-Nelson-Söhne Lukas und Micah dabei. Die sind jetzt auch schon gut fünf Jahre immer mal wieder mit Young unterwegs, und sie tun ihm live wahrscheinlich tatsächlich gut. Wie um zu zeigen, dass er mit seinen mehr als 30 Jahre jüngeren Bandkollegen mithalten kann, springt und stampft Young durch die Gegend, wenn er seine Gitarre bearbeitet. Gut zu sehen auch auf den beiden großen, in Röhrenfernseher-Optik neben der Bühne montierten Leinwänden.
„Es ist expressive, rohe Musik, und es ist die amerikanischste Musik, die sich denken lässt.“
Auch die Nelson-Brüder dürfen mal das ein oder andere Solo hier und da spielen, so ist es nicht, das Kommando gibt Young freilich nie aus der Hand. Und es mag an der Eigenart seiner Stimme liegen, aber anders als bei manchen seiner Altersgenossen klingt sein Gesang heute genauso wie in den 60ern, 70ern und überhaupt immer.
Welche Songs er spielt, ändert sich von Auftritt zu Auftritt. Ein festes Set, eine eingespieltes Programm, wie es zum Beispiel Bruce Springsteen bei seinen Broadway-Auftritten hatte, gibt es nicht. „Hey Hey, My My“, sonst ein Live-Klassiker, kommt heute nicht, dafür gehts mit „Mr. Soul“ zurück zu Buffalo Springfield. Das meiste ist aus den 70ern und den früheren 90ern – was wiederum keine Überraschung ist.
„Mansion On The Hill“, „Powderfinger“, „Cortez The Killer“, „Walk On“. Von HARVEST kommt heute als einziges das großartige „Words ( Between The Lines Of Age)“, von MIRRORBALL „Throw Your Hatred Down“, „Fuckin’ Up“ ist ein einziges übersteuerndes, manisches Gitarreninferno, „Harvest Moon“ das angesprochene einzige ruhige Lied zu Akustikgitarre und Mundharmonika. Kurz vor der Zugabe dann „Cinnamon Girl“ und das wie mit erhobener Faust geschmetterte, immer wieder neu entfachte „Rockin’ In The Free World“.
Mit „I’ve Been Waiting For You“ gehts zurück in die 60er, vor dem heute programmatischen „Like A Hurricane“ ganz am Schluss. „How are you doing out there?“, fragt Young ein paar mal.„You’re louder than we are, I can tell“, stellt er fest.
David Numberger